Romano Guardini Online Konkordanz
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Gestalten aus der Heilsgeschichte
Fünf Morgenbetrachtungen *4

I. Die ersten Menschen
In diesen Morgenbetrachtungen wollen wir uns um einige Gestalten aus der Heiligen Schrift bemühen. Mit der Schrift und mit der heiligen Geschichte, von der sie berichtet. Ein Julius Cäsar oder Karl der Große haben einst gelebt und sind nun gewesen. Ist ein Schicksal wie das des ersten Glaubenden, Abrahams, in diesem Sinne gewesen und vorbei? Für den, der selber glaubend ist, nicht. Abraham ist eine Gestalt der Geschichte; hat damals gelebt, in jener bestimmten Zeit, im ersten Viertel des zweiten vorchristlichen Jahrtausends. Die Gelehrten bemühen sich um die genaueren Feststellungen, und wichtige Funde geben ihnen Anhalt. Wir haben eine Vorstellung von der Kultur, aus welcher er hervorgegangen ist, seinen Lebensverhältnissen usw. Zugleich aber ist Abraham eine ewige Möglichkeit in jedem von uns.
Wie ist das gemeint? Man kann es durch eine Anschauung verdeutlichen, welche die Wissenschaft von der Entstehung des Lebens auf Erden hat. Derzufolge ist der Mensch seiner leiblichen Seite nach das letzte Glied einer langen Geschichte, nämlich der Entwicklung der Lebewesen überhaupt. Dieser Entwicklungsgang mit seinen verschiedenen Stufen und Zwischenformen nun sei einerseits zurückgelegt, also vorbei. Anderseits sei er aber noch in einem gewissen Sinne gegenwärtig, und zwar in jedem Menschen. Jene verschiedenen Entwicklungsstufen tauchten als Phasen im Werdegang des Individuums wieder auf. Sie lägen als Schichten in seinem biologischpsychologischen Wesensaufbau, würden als solche wirksam, kämen immer wieder im inneren Leben hoch. So trügen wir alle noch den Zustand des Wesens in uns, das im Meere lebt

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