Romano Guardini Online Konkordanz
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53.
Brief vom 28.03.1915, Freiburg.
Lieber Josef
grad eben habe ich Deinen Brief bekommen und danke Dir herzlich dafür. Weißt Du, als ich ihn gelesen hatte, stieg mir der Gedanke warm empor: »um alles in der Welt gäb' ichs nicht her, mit den beiden verbunden zu sein!« Das ist Wahrheit und deshalb darf man es sagen.
Was Du über Taufe und Kommunion sagst, ist herrlich. St. Augustinus würde Dir Note eins dafür geben; der Gedanke ist Geist von seinem Geiste. Glaube, Taufe und Eucharistie sind wirklich innerlich eine Einheit. Da wird der Schritt zum Sakrament der Ehe auch nicht weit sein. Die steht ja der Eucharistie ganz besonders nah. Nicht? -
Mit dem Aufsatz über Kant*427 mußt Du schon ein bischen Geduld haben. Ich fürchte mich etwas davor; wenn ich in die Sachen hineingerate, dann ist kein Loskommen mehr.
Nun laß mich einmal einiges über direkte und indirekte Religiosität sagen.*428 Mir kommts nämlich so vor, als ob hier die Wurzel[n] für viele Teilprobleme lägen, die uns beide lang schon beschäftigen. Unter direkter Rel. versteh ich jene Verfassung, in der einer sich seines Verhältnisses zu Gott bewußt ist, und aus ihm unmittelbar handelt und lebt, also direkter Verkehr mit Gott und Handeln aus bewußten relig. Antrieben. Indirekte Rel. ist da, wenn einer ganz denkt und fühlt und handelt, wie es ihm die jeweiligen Zwecke und Inhalte des betreffenden außerreligiösen Gebietes (Wissenschaft, Politik, Berufsarbeit, Vergnügen ...) eingeben. Er denkt dabei nicht direkt an Gott; aber die Religion hat seine Gesinnung gebildet, und diese gibt ihm eine bestimmte Haltung all jenen anderen Gegenständen, Gütern und Zielen gegenüber ein. Über das Mittel der Gesinnung hin bestimmt die Religion wie eine kaum als solche herauslösbare Grundstimmung, wie ein Maß und eine letzte Orientierung sein ganzes Wesen und Tun.
Nun sieh: mir scheint, das Wesen des Integralismus besteht darin, daß er diese indirekte Religiosität eigentlich ablehnt, und das ganze Leben direkt religiös haben will. Wenn der eine oder andere Mensch für sich das tut, mags ihm unbenommen sein, wenn ich auch glaube, daß der
427 Ein Entwurf hat sich nicht erhalten.
428 Vgl. den späteren Aufsatz: Über die Bedeutung der reflexen und direkten Akte für das religiöse Leben, in: Pharus. Katholische Monatsschrift für Orientierung in der gesamten Pädagogik 10 (1919), 486-502 (M 33).

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