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88.
Brief vom 26.06.1923, Potsdam.*743

Grüß Dich Gott lieber Josef!
Nun bin ich seit fast anderthalb Monaten hier. Zu erzählen wäre so viel, daß ich schon gar nicht anfange. Ich hoffe es aber bald mündlich tun zu können. Mit meinen Ferien steht es so: Anfang August bin ich in Westfalen*744; dann 10 - 16 in Ulm.*745 (Ists wahr, daß Du und Maria auch dort seid?) Anfang September will ich nach Italien.*746 Zwischendurch könnte ich zu Dir, wenn alles paßt, besonders es Euch so recht ist? Schreibe mir bitte bald Deine Meinung darüber.
Habt Ihr ein Dienstmädchen? Ich frage auch aus folgendem Grunde. Meine Haushälterin*747 kann nicht hier bleiben (Schwesternhaus!). Wenn es möglich ist und eine Einreiseerlaubnis*748 zu erwirken, geht sie nach Pützchen, wo ihre Heimat ist. Wenn nicht, weiß ich nicht recht, was tun. Ich dachte schon daran, sie könnte vielleicht zu Euch, und zwar natürlich, um im Hause richtig mitzuarbeiten. Sie kann alle Arbeit, auch Garten. Ist nicht sehr stark aber genau und sehr geschickt. Mir besorgt sie nun schon seit fast 3 ½ Jahren alles und ich bin sehr zufrieden. Das einzige ist, sie ist etwas schwermütig, darum kann ich sie nicht hier allein im Schwesternhaus lassen, das ja doch immer ein Großbetrieb mit allen zugehörigen Kleinlichkeiten ist. Vielleicht könnte durch eine solche Regelung auch Maria entlastet werden.

743 Das Berliner Sommersemester begann Mitte April und endete am 15. August. Offenbar war Guardini etwas später, erst nach dem 1. Mai 1923, umgezogen; in diesem Semester hielt er die Antrittsvorlesung »Vom Wesen katholischer Weltanschauung« (M 124) und die Vorlesung »Weltanschauliche Fragen in der Erlösungslehre« (nicht bei M). In Potsdam, der außerhalb Berlins gelegenen Stadt der Hohenzollernkönige, war seine erste Wohnung im Schwesternhaus des katholischen Krankenhauses der Borromäerinnen, Zimmerstr. 4. Vgl. BL 39.
744 Seit 1918 bestanden Beziehungen zu Paul Simon, dem Direktor des Priesterseminars Collegium Leoninum in Paderborn/Westfalen; Guardini hielt dort nach Erscheinen des Buches Vom Geist der Liturgie jedenfalls 1918 mehrtägige Vorträge (Gerner II, 3).
745 Die 3. Tagung des Vereins Katholischer Akademiker fand vom 10.-16. August 1923 in Ulm statt. Guardini war bereits ein vielbeachteter Theologe; vgl. seine Würdigung bei: Erich Przywara SJ, Gottgeheimnis der Welt. Drei Vorträge über die geistige Krisis der Gegenwart, München (Theatiner) 1923. Vgl. GF 162-165.
746 Die Mutter lebte bereits mit den jüngeren Söhnen in Varenna am Comer See.
747 Die Haushälterin Elisabeth Thomas aus Pützchen begleitete Guardini noch bis 1948.
748 Das Rheinland stand seit Kriegsende 1918 unter französischer Besetzung.

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