Romano Guardini Online Konkordanz
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Ansprache im Advent *1

»Ein Mann der Sehnsucht bist du.«
(Dan 9,25)
Advent ist es geworden. Die Wartewochen sind gekommen, da wir auf die Ankunft des Erlösers harren. Eine Zeit, die ans Herz greift, wie keine; voll unendlicher Sehnsucht ist sie. Wie ruft es in ihr? Tausend Stimmen erheben sich in den Gebeten der Kirche und rufen, rufen ... Tausend Augen schauen aus in weite, dunkle Ferne, ob Er denn noch nicht kommt ... Hände strecken sich aus und flehen ... Herzen sind weit aufgetan und schlagen in tiefem, heiligem Verlangen ...
Sehnsucht und Rufen ohne Ende steigt aus den Gebeten der Kirche empor, manchmal wie drängende Bitte aus tiefster Seele: »Du Lenker Israels, komm doch!« Manchmal wie aus großer Not: »O Herr, ich beschwöre Dich, sende, den Du senden willst, sieh auf das Elend Deines Volkes, komm, wie Du versprochen hast!« Und wieder tönt es angstvoll, wild fast, ungeduldig: »So eile doch, Herr, zögere nicht, befreie Dein Volk! Komm, Herr, säume nicht länger!« Und dann wieder tönen rührende Worte, wie wenn jemand in großer Angst sich selbst Mut macht: »Oh, gewiß, der Herr kommt ... Und an jenem Tage wird ein großes Leuchten sein ... Mit Kraft kommt Er und königlicher Gewalt ...« Stimmen tönen herein, geheimnisvolle, verheißende: »Getrost, Ich komme, euer Herr und Gott, und führe euch heim ... Wie eine Mutter ihre Kinder tröstet, so will Ich euch trösten ... Aufschauen sollt ihr, und euer Herz wird sich freuen!« Und dann schlägt auf einmal der helle Jubel empor, so wie aus einem Herzen, das lange bangt, auf einmal irgendwoher aus Herzenstiefen eine glückselige Gewißheit aufsteigt: »Ihr Bäume, breitet weit aus euer Gezweig

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