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Die Gefährdung der lebendigen Persönlichkeit [1926] Es ist, ich weiß nicht, von wem, das Wort von der Umdrohtheit unseres heutigen Daseins geprägt worden. Das Empfinden, irgendwie gefährdet zu sein, gehört zu unserem Menschlichen Eigenbewußtsein überhaupt. Wenn wir uns aber heute tiefer selbst besinnen; wenn wir aufsteigen lassen, was tief drinnen liegt; wenn wir jene Stimmen herangelangen lassen, die aus unserer Umgebung, aus dem Geschehen unserer Zeit hertönen, und die wir meist, unwillkürlich uns selbst schützend, fernhalten - so kommt das Bewußtsein über uns, daß wir heute in besonderem Maß gefährdet sind. Es mag oft durch die Anspannung des Augenblickes zurückgedrängt werden; aber es ist da und wartet immer nur darauf, durchzudringen. Vor einiger Zeit hatte ich den Auftrag übernommen, im Zusammenhang einer fürsorgewissenschaftlichen Tagung über den Begriff der sozialen Gefährdung zu sprechen. So setzte der Gedanke zuerst bei den verschiedenen Gruppen derer ein, die der behördlichen oder privaten Fürsorge bedürfen. Dann aber war es unmöglich, sie allein als "Gefährdete" von den anderen herauszuschälen. Was bei ihnen als Gefährdung hervortrat, zeigte sich auch bei den übrigen, nur daß diese durch günstigere Umstände vor dem Letzten bewahrt blieben. Bis die Erkenntnis schließlich in tiefem Ernst vor einer großen Gemeinsamkeit der Gefahr stand, die alle umfaßte. Machen wir uns einmal klar: Was hieße denn, nicht gefährdet sein? Wann wäre ein Mensch "sicher"? Unser tiefstes menschliches Empfinden sagt uns sofort: Der Anspruch absoluter Sicherheit wäre Frevel. Mensch-sein bedeutet immer in irgendeinem Sinne Gefährdet-sein. Das zu wissen, gehört zum tiefsten Ethos unseres Daseins. Unser Dasein | ||
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