Romano Guardini Online Konkordanz
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Die Bewegung Gottes
[1929]

Vorbemerkung

Der voraufgegangene Aufsatz über das "Wesen des Christentums" *1 hat die Frage gestellt, was im Bewußtsein des Neuen Testamentes das Wesen des Christlichen ausmache; wissenschaftlich gesprochen, die Kategorie des Christlichen? Die Antwort lautete: Nichts Allgemeines, ausdrückbar durch einen abstrakten Begriff; abzuleiten aus ethischen, psychologischen oder sonstwelchen Voraussetzungen. Vielmehr eine personale Einmaligkeit: der konkrete Jesus von Nazareth. Dieser aber nicht als geschichtlich einzuordnende, innerweltliche Persönlichkeit, sondern Jesus Christus, welcher Mensch ist, aber Mensch gewordener Sohn Gottes.
Er ist die lebendige Offenbarung. Was er ist, und spricht, und tut, bildet den Inhalt des Glaubens. Dieser Inhalt aber ist niemals abzulösen von seiner geschichtlichen Einmaligkeit. Ein Paradoxon also: Die christliche Kategorie ist die einmalige Person Christi. Paradoxon deshalb, weil "Kategorie" ihrem Wesen nach etwas Allgemeines ist, will sie ja doch besondere Aussagen in ihrer Möglichkeit und Rechtmäßigkeit begründen. Dieses nämlich heißt, daß sie für die Erfassung des betreffenden besonderen Gegenstandes freie Bahn gibt; reines Gegenüberstehen zwischen Subjekt und Gegenstand schafft. Eben dazu darf sie nichts Einmaliges bedeuten, weil sie dadurch sofort den Blick auf den jeweils gemeinten Gegenstand verstellen würde; sie muß vielmehr "allgemein" sein. In unserem Falle wird aber gerade das Gegenteil behauptet: die Kategorie, das heißt die Wesensbestimmung des christlichen Seins und Denkens, ist eine mit aller konkreten Bestimmung gefüllte Einmaligkeit, ein Jemand.

*1 Schildgenossen IX, 2.

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