Romano Guardini Online Konkordanz
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Hören und Reden
Eine Ansprache über Mk 7,31-37 *46

Im siebenten Kapitel des Markusevangeliums lesen wir eine jener innigen und trostvollen Begebenheiten, an denen das Neue Testament so reich ist: daß ein geplagter Mensch seine Not zu Jesus trägt und der Herr, ohne viel Worte, mit der Macht, die der Vater Ihm gegeben hat, dem Bedrängten hilft. Es ist ein Taubstummer, der da zu Jesus kommt. Er kann nicht hören und nicht sprechen. Die Welt um ihn her ist ohne Laut. Er vernimmt nicht das Brausen des Windes und nicht den Schlag der Wellen am Ufer des schönen Sees Genesareth. Er hört nicht die Vögel singen und nicht den leichten Lauf der Kinderfüße. Vor allem aber: Er hört das Wort nicht, das aus dem Inneren des anderen Menschen zu ihm kommt. Das Wort, welches macht, daß das Verborgene für einen kurzen, aber unabsehbar folgenreichen, schicksalknüpfenden Augenblick offen im Raum steht; der Klang der Stimme, jenes Eigenste, Persönlichste, das hinausschwingt, und eine Brücke des Verstehens und der Gemeinsamkeit schafft - das gibt es für ihn nicht. Wenn er etwas auffassen will, muß er spähen, von den Lippen ablesen, aus Mienen und Gebärden erraten. Und er ist stumm. Was in ihm lebt, kann er nicht aussprechen. Er ist auf Zeichen beschränkt. Einem anderen winken, daß er kommt; ihn mit einer Gebärde seiner Freundlichkeit versichern, das kann er - aber wie will er ihm sagen, was im eigenen Innern vorgeht? Ja, das Stummsein bedeutet noch mehr: daß sein Inneres selbst gebunden ist, denn der Geist des Menschen lebt im Worte. Darin versteht er sich und den anderen; darin löst er sich, gestaltet und schafft.
Und nun berührt ihm der Herr seine verschlossenen Sinne; spricht: »Tu dich auf!« - und sie öffnen sich. Die Welt gibt es ja so oftmals, als es Sinne gibt. Seine Welt war arm; war nur im Blick, im Getast und Geschmack da - nun ersteht sie in der

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