Romano Guardini Online Konkordanz
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Das Fegfeuer

I.
Die Feste des Kirchenjahres treten dem Glaubenden in verschiedener Weise nahe. Manche leben nur aus der Offenbarungswahrheit, die in ihnen Gestalt gewonnen hat, so das Fest der Erscheinung des Herrn. In anderen verbindet sich der Glaubensinhalt mit den Gezeiten des Lebens; so zu Ostern das Gedächtnis der Auferstehung Christi mit dem Wiedererwachen der Natur, oder zu Pfingsten der Tag der Herabkunft des Geistes mit der Fülle des Sommers. Wieder in anderen Festen kommt noch etwas weiteres hinzu, nämlich die Erfahrung starker, in die Tiefen der Seele hinabreichender Lebenszusammenhänge. Dazu gehören Weihnachten und Allerseelen. In jenem verbindet sich die Feier der Geburt Christi mit dem Erlebnis des tiefsten Winters und der Wende zum kommenden Licht; in diesem die Mahnung an die Läuterung nach dem Tode mit der Schwermut des Herbstes. Darüber hinaus aber ist Weihnachten das Fest der Familie, ihrer Geborgenheit, Liebe und Hoffnung, wie sie sich besonders in den Kindern verkörpert; Allerseelen hingegen der Tag, an dem wir jener gedenken, die uns teuer waren und von uns gegangen sind. Diese beiden Feste sind weder die ältesten – von Weihnachten hören wir zuerst in der Mitte des vierten Jahrhunderts, und Allerseelen sehen wir erst im vierzehnten allgemein eingeführt – noch haben sie den höchsten Rang – das zeitlich benachbarte Fest der Erscheinung des Herrn steht über Weihnachten, und Allerheiligen über Allerseelen. Aber sie sind von starken seelischen Mächten durchwirkt; so haben sie sich besonders tief in das gläubige Gemüt eingezeichnet.
Das zweite dieser Feste, Allerseelen, legt uns eine Frage nahe, der wir nachgehen wollen. Es erinnert uns an unsere Verbundenheit

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