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85. Brief vom 00.04.1922, Pützchen bei Beuel und Nieder-Holtorf. *706 (auch 00.06.1922) Pützchen Im April 1922. Grüß Dich Gott, lieber Josef Hab Dank für Deinen Brief. Er hat mir Heimweh nach drunten gemacht. Ich bin müd, geistig mehr noch als körperlich. Die Zuversicht will nachlassen. Es ist so viel, was einem am Mut nagt. So viel Gegensätze; jeder will anders, urteilt anders, verwirft anderes. Und an jedem Abend, - es ist eine sonderbare Verknüpfung, aber wenn ich zu den Hausschuhen greife, steht der Tag wie ein zerronnenes Umsonst vor mir. Ich fühle das Leben rinnen, aber mir ist versagt, das Bleibende zu fühlen, wie Du es kannst. Was Du vom katholischen Geistesbereich, von all dem Engen, Lebensleeren, Halben darin sagst, o, das fühle ich so immerfort! Ich glaube, das stirbt erst mit mir selbst, das »Problem der Kirche«. Und doch bin ich bestellt, von ihr zu sprechen, und von ihrer Größe zu zeugen. Gerade deshalb. Gott verlangt es von mir, denn dies ist die Resultante aus meinem ganzen Leben und Sein. Und von der Kirche kann nur reden, wer unter ihr leidet. Ich glaube, in dem Maß versteht man sie, oder wenigstens vieles an ihr, als sie einem das Kreuz des Lebens ist. Christus ist - mystice - die Kirche. Aber ihr Empirisches ist sein Kreuz. Ich sehe die furchtbaren Unzulänglichkeiten; aber ich rede mit Zuversicht von ihrem Guten. Manchmal ists mir, als löge ich. Aber es ist nicht wahr. Es ist ein aufrufendes Sagen: »so bist du« - vertrauend, daß dann das Gerufene erwache, denn es ist da, es schläft bloß. Meine ganze Schrift »über den Sinn der Kirche«*707, die bald erscheint, ist ein solches Rufen. Und die Leute fühlen, daß es ein Rufen ist, welches bitter weiß um die Fehler, und mit dem »religiösen Patriotismus« nichts zu tun hat. Denn Offizielle und Parteien trauen mir nicht. Immer nur die Einzelnen, die kommen. Ja, es ist ein gutes Wort, was Du geschrieben hast, daß 706 Nach Pützchen wurde Guardini die Seelsorge in Niederholtorf im Siebengebirge - gegenüber von Bonn - zugewiesen, wo er bis zur Berufung auf den Lehrstuhl in Berlin im Sommersemester 1923 blieb. 707 Vom Sinn der Kirche. Fünf Vorträge, Mainz (Grünewald) 1922 (M 99). Die Vorträge wurden auf der ersten Tagung des von Abt Ildefons Herwegen OSB (Abtei Maria Laach) neugegründeten katholischen Akademikerverbandes 1921 in Bonn gehalten. | ||
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